Newsletter-Ausgabe 04/2025: RWTH Aachen sucht Elektrosensible für eine Studie

Wir können leider nur einer sehr kleinen Gruppe der Elektrosensiblen die Teilnahme empfehlen.

Liebe Freunde und Freundinnen einer menschen- und umweltfreundlichen Vernetzung,

am Forschungszentrum für elektromagnetische Unverträglichkeit (femu) der RWTH Aachen werden derzeit Studien zur Wahrnehmung elektrischer Felder im Umfeld von Hochspannungsleitungen durchgeführt. Im Fokus stehen dabei Menschen, die als elektrosensibel gelten. Gesund verNETZt empfiehlt jenen Elektrosensiblen eine Teilnahme, die unmittelbar und eindeutig auf niederfrequente, elektrische Felder reagieren.

Im Zuge der Energiewende wird Strom aus Offshore-Windparks im Norden Deutschlands nach Mittel- und Süddeutschland transportiert. Dafür werden neue Hochspannungsleitungen gebaut, die sowohl Gleichstrom (DC) als auch Wechselstrom (AC) führen. Zur menschlichen Wahrnehmung elektrischer Felder bei Hochspannungs-Gleichstromleitungen (HGÜ) und insbesondere zur Koexposition von Gleich- und Wechselstromfeldern gibt es bislang kaum Untersuchungen.
Weder die 26. BImSchV (siehe Abbildung) noch die ICNIRP geben Grenzwerte oder Empfehlungen für die elektrische Feldstärke bei Gleichstromleitungen vor. Auch für die gleichzeitige Expositionen gegenüber Gleich- und Wechselstromfeldern existieren keine spezifischen Vorgaben.

Frühere Studien [1, 2, 3, 4] deuten darauf hin, dass die Körperbehaarung die Wahrnehmungsfähigkeit elektrischer Felder beeinflusst. Weitere Wirkmechanismen werden diskutiert. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass sowohl Gleich- als auch Wechselstromkomponenten die Schwelle zur Wahrnehmung elektrischer Felder senken können – allerdings wurden diese Studien mit Teilnehmenden aus der Allgemeinbevölkerung durchgeführt. 
Die aktuelle Studie konzentriert sich erstmals gezielt auf elektrosensible Personen. Die RWTH Aachen lädt daher Betroffene zur Teilnahme ein. Wenn die Wahrnehmungsschwelle sinkt sobald AC- und DC-Leitungen parallel verlaufen, kann dieses wiederum Auswirkungen auf zukünftige Trassenführungen haben und ein Abwägungsprozess zu anderen Interessen wie Wohnbebauung oder Landwirtschaft könnten noch komplizierter werden.

Wir können Empfehlungen und Grenzwerte beeinflussen

Wir bemängeln, dass bei den bisherigen Grenzwerten die vulnerablen Personengruppen nicht oder unzureichend beachtet wurden. Diese Studie könnte eine Grundlage für Grenzwerte werden. gesund verNETZt sieht auch eine Chance, dass Elektrosensible in der Forschung und somit in Grenzwerten und Empfehlungen berücksichtigt werden könnten. 

Herausforderungen und Kritik am Studiendesign

Bereits nach dem ersten Austausch mit dem Studienleiter wurde Abschirmmaterial bestellt, um den Untersuchungsraum gegen hochfrequente Strahlung abzuschirmen – dafür danken wir ausdrücklich. In anderen Bereichen besteht jedoch noch Gesprächsbedarf: 

  • Die Höchstspannungsleitungen dienen zum Stromtransport und erzeugen dabei sowohl elektrische als auch magnetische Felder. Laut Bundesnetzagentur kann es nur an wenigen Tagen im Jahr zur Situation kommen, dass ausreichend „Sonnenstrom“ im Süden vorhanden ist, folglich kein Strom der Offshore-Windparks benötigt wird und nur ein elektrisches Feld ohne magnetische Komponente an den Leitungen anliegt. Das Studiendesign simuliert somit ein sehr seltenes Szenario und entspricht nicht den überwiegenden realen Bedingungen. 
  •  In den Teilnahmeinformationen schreibt der RWTH, dass laut aktueller Studienlage kein kausaler Zusammenhang zwischen Exposition und Symptomen bei EHS nachgewiesen werden kann. Wir haben unsere Stellungnahmen zu den systematischen Reviews der WHO zur idiopathischen Umweltintoleranz gegenüber elektromagnetischen Feldern [www.gesund-verNETZT.de] an den Studienleiter Michael Kursawe, (Dr. Psychologie) übermittelt. 
    Aus Sicht der Betroffenen ist die Aussagekraft der bisherigen Studien gering, da wesentliche Kriterien der individuellen Symptomatik und der realen Expositionsbedingungen nicht beachtet wurden. Genau diese Problematik sehen wir in der aktuellen Studie. Das Studiendesign birgt die Gefahr, dass Betroffene und deren Organisationen die Aussagekraft erneut als sehr begrenzt einschätzen. 
  •  Die Studie richtet sich formal an alle Elektrosensiblen. In der Praxis gibt es jedoch verschiedene Gruppen: Betroffene, die auf Hochfrequenz (HF), auf HF und Niederfrequenz (NF) oder ausschließlich auf NF reagieren. Die NF-Gruppe unterteilt sich weiter, je nachdem ob auf elektrische Felder, magnetische Felder oder beides reagiert wird. Besonders sensitiv auf Gleichspannungsfelder in Kombination mit Wechselfeldern reagieren vermutlich nur sehr wenige Betroffene.
    Die breite Ansprache aller Elektrosensiblen erscheint daher nicht zielführend. Es besteht die Gefahr, dass ohne differenzierte Betrachtung innerhalb der Gruppe der Elektrosensiblen keine erhöhten Wahrnehmungsschwellen festgestellt werden, (Wir verweisen auf unsere fiktive Analogie bei Allergenen in der Stellungnahme zur Einschätzung des KEMF
    Anders formuliert: Die RWTH Aachen spricht alle Elektrosensiblen an, bezieht sich auf Menschen mit einer idiopathischen Umweltintoleranz gegenüber elektromagnetischen Feldern, benötigt aber Menschen mit einer hohen Intoleranz gegenüber elektrostatischen Feldern. Diese stellen eine (unbekannt große) Subgruppe aller Elektrosensiblen dar. Das erscheint uns nicht stimmig. 
  • Der Wirkungsmechanismus über „die Haare“ kann mit dieser Studie gut erforscht werden. Bei der Elektrosensibilität werden primär andere Wirkmechanismen diskutiert u.a. die Öffnung von Calciumkanälen, oxidativer und nitrosativer Stress sowie die Öffnung der Blut-Hirn-Schranke. Diese Mechanismen könnten die vielfältigen Symptome plausibel erklären. Auch Fehlattributionen oder Nocebo-Effekte spielen möglicherweise eine Rolle. 
    Für Betroffene mit verzögerter Symptomatik sind die vorgesehenen kurzen Regenerationszeiten zwischen den bis zu 40 Einzeltestungen vermutlich nicht ausreichend. Das Studiendesign kann diese individuellen Unterschiede nicht abbilden. Daher halten wir es für umso wichtiger, dass vor allem jene teilnehmen, die unmittelbar auf elektrische Felder reagieren. 
  • Den Teilnehmern wird vor der Studie ein Fragebogen zugesandt. Der Schwerpunkt der Fragen konzentriert sich auf psychologische Aspekte. Die wenigen Fragen, die auf einen möglichen Zusammenhang zwischen körperlichen Reaktionen und EMF-Belastung hinweisen könnten, erscheinen unzureichend. Individuelle Reaktionen auf EMF spielen – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Die sehr wichtigen individuellen Regenerationszeiten werden gar nicht abgefragt. Mit den Fragestellungen könnten sich vor allem Fehlattributionen oder Nocebo-Effekte belegen lassen.  

Unsere Empfehlung

In bisherigen Studien fing die Befeldung bei DC 1–4 kV/m mit AC-1–14 kV/m an. In der Praxis treten bei 380 kV Leitungen in Bodennähe Werte von max. 59 kV/m auf. Wir empfehlen daher: Alle Betroffenen, die in der Lage sind, das elektrische Feld unter einer Hochspannungsleitung unmittelbar zu spüren (d.h. die Symptome treten beim Durchfahren sofort auf und verschwinden rasch wieder), sollten sich bei der RWTH Aachen melden. Im Labor werden pro Testsession 40 Einzeltestungen durchgeführt. Jede Exposition dauert 15 Sekunden, anschließend bleiben 5 Sekunden zur Beurteilung, ob eine Spannung anlag. Auch wenn die RWTH Aachen alle Elektrosensiblen anspricht, empfehlen wir die Teilnahme ausdrücklich nur für die beschriebene Zielgruppe. 

Fazit und Ausblick

Wir stellen uns die Frage, ob die Studie tatsächlich geeignet ist, die Wahrnehmung von elektrischen Feldern unter HGÜ-Leitungen bei Menschen mit idiopathischer Umweltintoleranz gegenüber elektrischen Feldern adäquat zu erfassen. Aus Sicht von gesund verNETZt wäre es zielführender und kosteneffizienter, Studien in enger Kooperation mit Betroffenenorganisationen zu konzipieren. Diese Bereitschaft haben wir dem BfS bereits vor Jahren signalisiert.  

Für eine gesund verNETZung 
Thomas Warmbold

https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-2025030650649/1/BfS_2025_3621SNA401.pdf
https://www.nature.com/articles/s41598-023-43556-2 
https://www.nature.com/articles/s41598-022-07388-w 
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33973657/
https://gesund-vernetzt.de/newsletter/who-neubewertung-der-gesundheitlichen-wirkungen-elektromagnetischen-felder-teil-ii/
https://www.emf-portal.org/de/emf-source/80
https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/fachinformationen/elektrosmog-quellen/hochspannungsleitungen–freileitungen–als-elektrosmog-quelle.html


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